Hybride Arbeit: Wenn Freiheit von Regeln profitiert
Die Zukunft des Arbeitens ist hybrid und braucht optimale Flexibilität. Bei den Vier Ringen stellt eine einzigartige Studie wichtige Weichen.
Wer als Unternehmen innovativ sein will, muss Ideen zu einer attraktiven Arbeitswelt entwickeln. Audi hat jetzt zusammen mit der Universität St. Gallen eine umfassende Studie mit rund 1.500 Mitarbeitenden gestaltet. Studienleiter Stephan Böhm, assoziierter Professor für Diversity Management und Leadership an der Universität St. Gallen in der Schweiz, Projektleiterin Carina Behrends aus dem Diversity Management bei Audi sowie einer der Studienteilnehmer Andreas Mack, Leiter der Audi-Zeitwirtschaft, berichten über ihre Erfahrungen.
Das Interview
Die Studie von Audi und St. Gallen ist groß angelegt und hat mehr als 4.000 Meinungen von Mitarbeitenden zur Grundlage. Was ist die Motivation hinter diesem Projekt?
Stephan Böhm: Hybride Arbeitsmodelle sind zeitgemäß. Sie geben den Mitarbeitenden mehr Freiheit und Selbstbestimmung. Gleichzeitig wächst aber der Abstimmungsbedarf, gerade in hybriden Teams. Schließlich sehen sich die Mitarbeitenden nur noch ab und zu, aber nicht mehr täglich im Büro. An dieser Stelle setzt unsere Studie an. Wir wollten einen Gesprächsprozess in Gang setzen, in dem alle artikulieren können, wie sie wo und wann am liebsten arbeiten möchten. Diese Wünsche mussten dann in Einklang gebracht werden mit den Belangen der Abteilung. Da geht es zum Beispiel um Präsenzzeiten, Erreichbarkeit und Kommunikationsmedien. Am Ende sollten gemeinsame Vereinbarungen stehen, die jedes Team für sich selbst aufstellt. Das haben wir gemeinsam mit Audi in insgesamt 57 Workshops mit 109 Teams und 1.500 Teilnehmenden umgesetzt.
Wie lief das konkret ab?
Böhm: Wir haben die Studie in einem randomisierten Design durchgeführt. Konkret heißt das, dass die eine Hälfte der 109 Teams einen moderierten Workshop durchlief und dabei Vereinbarungen zur hybriden Zusammenarbeit ausarbeitete, die andere Hälfte nicht. Maßgeblich war, dass sich die Teams ihre Teilnahme am Workshop nicht selbst aussuchen durften, sondern zufällig zugeteilt wurden. Anhand mehrerer Befragungen konnten wir dann sehen, ob die Workshop-Teams in bestimmten Kategorien besser abschnitten als die anderen Teams. Solche Untersuchungen sind sehr selten, weil sie sehr aufwändig sind. Die meisten Unternehmen machen da nicht so gerne mit. Darum sind wir umso glücklicher, dass wir die Studie zusammen mit Audi hochprofessionell und auf einer breiten Basis durchführen konnten.
Behrends: Eine so umfassende und lange Studie braucht tatsächlich eine immense Vorbereitung, viel Durchhaltevermögen und Anpassungsfähigkeit. Für uns im Diversity Management von Audi ist evidenzbasiertes Arbeiten aber von jeher wichtig. Die enge Kooperation mit der Wissenschaft ermöglicht es uns, am Puls der Zeit zu sein und fundierte Entscheidungen für die Entwicklung unseres Unternehmens treffen zu können. Deswegen haben wir die Entscheidung für dieses Projekt sehr bewusst getroffen.
Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Böhm: Dass es nachweislich positive Effekte gibt. In den Teams, die gemeinsame Regelungen ausgearbeitet hatten, herrscht in der Folge ein klareres Verständnis über die Zusammenarbeit. Gegenseitiges Vertrauen und Verbindlichkeit sind in diesen Teams deutlich ausgeprägter. Und es kommt zu weiteren positiven Veränderungen im weiteren Zeitablauf. Mitarbeitende in hybriden Teams empfinden eine stärkere Zugehörigkeit zum Team, empfinden sich und ihre Teammitglieder als performanter und sind emotional weniger erschöpft, wenn sie sich an gemeinsamen Vereinbarungen orientieren.
Sie setzen mit Ihrer Studie ganz neue Impulse. Was macht sie so besonders?
Böhm: Grundsätzlich ist hybride Arbeit ein zweischneidiges Schwert. Die Mitarbeitenden schätzen ihre Autonomie und Flexibilität, vermissen aber psychologische Sicherheit und ein Gemeinschaftsgefühl. Man spricht dabei vom Autonomy-Paradox. Unsere Studie ist die erste, die dieses Autonomy-Paradox wirksam auflöst. Gemeinsame Teamvereinbarungen sind der Schlüssel dazu.
Gemeinsam definierte Regeln machen die hybride Zusammenarbeit also besser. Aber die Schwierigkeit ist ja vermutlich, zuvor alle individuellen Wünsche und Bedürfnisse unter einen Hut zu bekommen. Wie schafft man das?
Andreas Mack: Man muss immer abwägen zwischen den Bedürfnissen des Individuums und den Bedürfnissen der Gruppe sowie des Unternehmens. Am Ende steht immer ein Kompromiss. Bei uns hat jedes Teammitglied im Workshop zu Beginn kurz dargelegt, zu welchen Uhrzeiten es am liebsten an welchem Ort arbeiten möchte und warum. Das hat viele Wünsche transparent und nachvollziehbar gemacht und ein großes gegenseitiges Verständnis erzeugt. Danach ist es gar nicht mehr so schwer, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Wie sieht dieser gemeinsame Nenner bei Ihnen konkret aus?
Mack: Unser Team hat sich auf gemeinsame Präsenztage in regelmäßigen Abständen geeinigt. An diesen Tagen können wir Themen persönlich besprechen und uns dabei in die Augen schauen. Darüber hinaus gibt es Wochentage und Uhrzeiten, an denen unsere Ansprechpartner_innen erhöhten Gesprächsbedarf haben, weshalb wir dann mit möglichst vielen Teammitgliedern im Büro präsent sein wollen. Und wir nehmen uns ganz bewusst die Zeit, auch mal gemeinsam zu frühstücken. Diese Rituale sind unheimlich wichtig für das Wir-Gefühl.
Wie gut funktioniert das bislang?
Mack: Bislang klappt es sehr gut. Das System ist aber wohlgemerkt ein lebender Organismus, der kontinuierlich hinterfragt, besprochen und gegebenenfalls neu ausgerichtet werden muss. Darum ziehen wir in regelmäßigen Abständen eine Zwischenbilanz. Man darf nicht auf einem vermeintlich perfekten System beharren, denn das gibt es nicht, man muss sich Flexibilität bewahren.
Welche Erfahrungen haben Sie als Führungskraft gemacht?
Mack: Es ergeben sich meiner Erfahrung nach zwei große Veränderungen für Führungskräfte. Wir müssen erstens allen Teammitgliedern das Gefühl geben, dass sie einen fairen Anteil am Erfolg haben. Das ist schwieriger, wenn man sich nicht mehr ständig sieht. Zum Zweiten müssen sich Führungskräfte in hybriden Umgebungen mehr Gedanken machen, wie sie Teamtage vor Ort gestalten und dadurch den Teamgedanken stärken. Die Mitarbeitenden sollen gerne ins Büro kommen und die Präsenz nicht als lästige Pflichterfüllung empfinden. Vertrauen und Eigenverantwortung sind ein Erfolgsrezept.
Hybride Arbeitsmodelle verbindet man nicht unbedingt gleich mit Diversity. Welche Brücke hat sich aus der Studie ergeben?
Carina Behrends: Unsere Hypothese war, dass geregelte Flexibilität zu mehr Inclusion führt. Wir haben diesen Zusammenhang gefunden. Unsere Daten zeigen ganz klar: Wenn Regeln auf Teamebene definiert werden, haben sie einen positiven Effekt auf Zugehörigkeitsgefühl und Authentizität, auf Perspektivenvielfalt und Chancengleichheit. New Work Modelle stellen in diesem Zusammenhang einen wichtigen Baustein innerhalb unserer Diversity Aktivitäten dar, denn nur durch das Einbeziehen von individuellen Bedürfnissen schaffen wir optimale Bedingungen für alle.
Wie geht es jetzt weiter?
Behrends: Aktuell arbeiten wir an einem ausführlichen Ergebnisbericht, in dem wir verschiedene Einzelaspekte beleuchten wollen, etwa Unterschiede bei verschiedenen Altersgruppen oder Männern und Frauen. Außerdem sind weitere wissenschaftliche Publikationen geplant. In erster Linie wollen wir die Studienergebnisse und unsere Erfahrungen aber nutzen, um alle Teams bei Audi dabei zu unterstützen, optimal hybrid zusammenzuarbeiten. Dafür haben wir das Workshop-Konzept aktualisiert. Wir sind uns sicher, dass hybride Arbeit gekommen ist, um zu bleiben und uns als Audi chancengerechter zu machen – unsere Teams bei Audi auf diesem Weg zu begleiten ist der Beitrag, den wir leisten können und müssen.
Wie lautet Ihr Fazit?
Behrends: Die hybride Arbeitswelt birgt mehr Freiraum und Selbstbestimmung für die Mitarbeitenden, verspricht mehr Sinn und Erfüllung. Doch haben Homeoffice und agile Teams auch ihre Tücken. Gemeinsam definierte Regeln federn die Nachteile ab und erzeugen gegenseitiges Verständnis, müssen aber immer wieder selbst auf den Prüfstand. Dann machen sie die Arbeit im Team nicht nur produktiver, sondern auch angenehmer.