ESG: Gelebte Integrität und Verantwortung bei Audi
Elke Neidlein und Johanna Klewitz im Gespräch
Verantwortung ist die Verpflichtung, für seine Handlungen einzustehen und ihre Folgen zu tragen. Wie sehen Sie das?
Neidlein: Verantwortung hat für mich sehr viel mit Integrität zu tun, also damit, dass das tatsächliche Verhalten einer Person mit den ethischen Wertvorstellungen übereinstimmt. Gerade wenn keine konkreten Regeln da sind und sogenannte Dilemma-Situationen entstehen, braucht es verantwortungsbewusste Entscheidungen und ein robustes Wertegerüst. Wir als Führungskräfte und gerade unser Vorstand müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Und wir brauchen mutige Audianer_innen, die sich etwas trauen – ohne moralische oder juristische Grenzen zu überschreiten. Verantwortung gegenüber unserer Gesellschaft, Umwelt und auch den eigenen Mitarbeitenden bedeutet für mich: transparent und glaubwürdig zu agieren und Position auch dann zu beziehen, wenn es unbequem ist.
„
Gerade wenn keine konkreten Regeln da sind und sogenannte Dilemma-Situationen entstehen, braucht es verantwortungsbewusste Entscheidungen und ein robustes Wertegerüst.“
Ein Großteil der Wertschöpfung entsteht nicht bei Audi direkt, sondern über die Lieferkette. Wie sorgen Sie dafür, dass Partnerunternehmen die erforderlichen Standards für Integrität und Compliance umsetzen?
Klewitz: Ja, das stimmt. Ein Audi besteht aus vielen tausend Einzelteilen und Materialien und unterliegt einem aufwendigen Herstellungsprozess. Das schaffen wir nicht allein. Deshalb brauchen wir verlässliche Partnerunternehmen. Bei der Auswahl legen wir strenge Kriterien an: Neben Qualität, Innovationsfähigkeit, Kompetenz und Kosten hat Nachhaltigkeit einen ebenso hohen Stellenwert für uns. Wir arbeiten nur mit Unternehmen zusammen, die unsere Werte und Normen teilen: Integrität, Transparenz und Fairness sind genauso Voraussetzung, wie das Erfüllen gesetzlicher Vorgaben. Mit dem Code of Conduct für Geschäftspartner haben wir ein verbindliches Instrument, das ganz transparent Mindeststandards an unsere Partnerunternehmen setzt. Mit dem S-Rating (Nachhaltigkeitsrating) prüfen wir, ob unsere Anforderungen erfüllt sind und ermitteln die Leistungen unserer Lieferant_innen in den Bereichen Nachhaltigkeit, Umwelt und Soziales. Erfüllt ein Partnerunternehmen unsere Anforderungen nicht, arbeiten wir nicht mit ihm zusammen.
ESG rückt also deutlich stärker in den Fokus. Was tun Sie hier bei Audi und in der Zusammenarbeit mit Partner_innen?
Neidlein: Integrität und Compliance sind Teil unserer Unternehmensstrategie, in unseren Personalprozessen verankert und werden über das Compliance Management System kontinuierlich weiterentwickelt. ESG bedeutet für uns eine gute und robuste Unternehmensführung („G“ für Governance) als Basis, damit sich die Bereiche „E“ für „Environmental“ und „S“ für „Social“ entfalten können. Ich kümmere mich gemeinsam mit meinem Team darum, dass unsere Mitarbeitenden und Führungskräfte in Situationen Unterstützung bekommen, in denen sich die Frage stellt: Was heißt es, sich integer und compliant zu verhalten? Das beinhaltet einerseits verpflichtende und risikobasierte Compliance-Trainings wie beispielsweise Antikorruption, Insiderrecht oder Menschenrechte. Zusätzlich bieten wir aber auch Dialogformate mit Expert_innen und Entscheider_innen an, trainieren den Umgang mit Dilemma-Situationen und schulen die relevanten Kompetenzen für integre Entscheidungsfindung. Darüber hinaus schaffen wir ein Bewusstsein für Compliance und Integrität über zielgerichtete und umfassende Kommunikation. Ich bin davon überzeugt, dass Qualifizierung, Dialog und die kritische Auseinandersetzung mit diesen komplexen Themen der Schlüssel für eine lernende Organisation sind. Nur so können wir als Unternehmen jeden Tag ein Stückchen besser werden.
Klewitz: Das kann ich nur unterstützen. Eine umfassende Kompetenzentwicklung in diesen Bereichen ist entscheidend. In unserer Lieferkette ist das eine enorme Aufgabe, wenn man bedenkt, dass wir bei Audi etwa 14.000 direkte Lieferant_innen in circa 60 Ländern haben. Und da sprechen wir erst über die Unternehmen, zu denen wir eine direkte Beziehung haben. Wir verfolgen hier einen holistischen Ansatz. Zum einen schulen wir unsere Partnerunternehmen selbst zu Nachhaltigkeitsthemen. In 2021 nahmen beispielsweise mehr als 1.000 Personen an unseren Online-Schulungen zum S-Rating teil. Unser Ansatz ist es aber auch, dass sich unsere Partnerunternehmen in der Lieferkette durch regelmäßigen Austausch wie beispielsweise in Workshops oder Trainings gegenseitig inspirieren und das Erlernte wiederum selbst in ihre Lieferkette tragen. Diesen kollaborativen Ansatz bündeln wir unter Act4Impact. Wir wollen Veränderungen anregen – für Mensch und Umwelt.
Nun haben Sie Aktivitäten aus den Bereichen Soziales und Governance angeführt. Was tun Sie für ökologische Nachhaltigkeit?
Klewitz: Eine Menge. Wir reduzieren sukzessive und kontinuierlich CO2 in unserer Lieferkette. Wir fordern den Einsatz von Grünstrom bei unseren Partnerunternehmen ein, schließen Materialkreisläufe und erhöhen den Anteil an Sekundärmaterial dort, wo es eine große Auswirkung hat – etwa bei Aluminium.
Hand aufs Herz: Funktioniert es, immer integer zu sein?
Neidlein: Natürlich ist es unbequem, standhaft zu sein und manchmal bedeutet es auch, einen persönlichen Vorteil aufzugeben. In einem großen Unternehmen sind Zielkonflikte an der Tagesordnung. Die große Kunst ist es, das eigene Verhalten an dem großen Ganzen, dem übergeordneten guten Zweck auszurichten und an diesem mitzuwirken. Dafür braucht es das richtige Mindset. Dazu gehört beispielsweise, die Bereitschaft und Verantwortung, sich selbst zu hinterfragen und anzusprechen, wenn etwas nicht funktioniert. Dabei ist es wichtig, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Nur so entwickelt sich ein Unternehmen und die Kultur weiter und das zahlt sich am Ende auch in den Ratings aus. ESG lohnt sich für alle.
Klewitz: Für mich persönlich ist ein stabiler und gesunder, innerer Wertekompass entscheidend. Ich möchte mich mit meinen Entscheidungen wohl fühlen. Das ist auch unabdingbar für meine Arbeit im Bereich Nachhaltigkeit. In diesem Feld kommen viele Erwartungshaltungen und Anforderungen zusammen: vom Gesetzgeber, der Öffentlichkeit, NGOs, Kund_innen bis hin zu unseren eigenen Mitarbeitenden. Sie alle wollen, dass wir als Audi transparent, verantwortungsbewusst und glaubwürdig agieren.
Was treibt Sie persönlich an?
Neidlein: Integrität bringt eine unglaubliche Bandbreite an Themen mit sich. Es gibt nicht den einen Weg, der immer funktioniert. Das macht es für mich so spannend, gemeinsam mit den Fachbereichen an kontroversen Fragestellungen zu arbeiten. Wir investieren damit nicht nur in die Zukunftsfähigkeit von Audi, sondern in eine lebenswerte Zukunft für uns alle. Bis heute haben wir schon viel bewegt, aber die Reise ist noch lange nicht zu Ende. Ich kann jeden Tag meinen eigenen Beitrag leisten und mit dem richtigen Mindset vorangehen. Das hört nicht am Werkstor auf oder wenn ich den Laptop herunterfahre: integres und glaubwürdiges Handeln zahlen sich aus – egal, in welchem Lebensbereich.
Klewitz: Mir ist es wichtig, nicht locker zu lassen, bis wir ein gutes Ergebnis für Mensch und Umwelt erzielt haben. Das lehren mich auch meine Kinder, die für mich der ehrlichste Spiegel meiner Entscheidungen und Handlungen sind. Die unermüdliche Frage nach dem „Warum“ kennen wahrscheinlich alle Eltern. Genau das ist gut, auch wenn es anstrengend sein kann. Um etwas zu verändern, braucht es Mut. Und das ist für mich eine Frage der Haltung: Nur wenn wir Verantwortung übernehmen – für unser Wirken auf Mensch und Umwelt – werden wir als Automobilhersteller auch zukünftig bestehen.