Audi Thermomanagement im Härtetest
Herr Kröner, was muss das Thermomanagement eines Audi e-tron leisten?
Um auch bei extremeren Temperaturen eine adäquate Leistung zu erbringen, muss beispielsweise die Hochvoltbatterie des Fahrzeuges gewärmt oder gekühlt werden. Das Thermomanagement sorgt dafür, dass diese möglichst in ihrem Wohlfühlbereich arbeiten kann.
Das ist wie bei der Leistung eines Smartphone-Akkus, die bei tiefen Temperaturen eingeschränkter sein kann als im normalen Temperaturbereich.
Das Thermomanagement liefert einen wesentlichen Beitrag, wenn es darum geht, temperaturbedingte Leistungsabfälle der HV-Batterie und anderer HV-Komponenten zu verhindern. Im Alltagsbetrieb wirken sich kurzfristige Abweichungen von der Wohlfühltemperatur im Allgemeinen kaum auf die System-Leistung aus.
Das Thermomanagement ist aber nicht zu vergleichen mit beispielsweise dem Thermostat an einem Heizkörper?
Definitiv nicht. Das Thermomanagement eines Audi e-tron nutzt mehrere Kühlwasser- und Kältemittelkreisläufe. Sie werden je nach Bedarf aktiviert, um Innenraum, Antriebsstrang oder Batterie zu kühlen oder zu heizen. Es gibt mehr als 200 Verschaltungsmöglichkeiten, die so intelligent eingesetzt werden müssen, dass wir die jeweils gewünschte Temperierung erreichen.
Wie stellen Sie fest, ob die Verschaltungen wie gewünscht arbeiten?
Entsprechende Tests bei realen Fahrzeugen sind hochgradig aufwendig, teuer und zeitraubend. Deshalb haben wir hier in Gaimersheim gemeinsam mit unseren Audi internen Kollegen einen neuen, im VW-Konzern einzigartigen, Prüfstand entwickelt, der unsere Test-Szenarien, unabhängig vom Fahrzeug, in einer sehr frühen Phase darstellen kann. Dieser Prüfstand ist seit 2020 in Betrieb und kann so gut wie alle Fahrzustände realitätsnah nachbilden und vereinfacht unsere Arbeit deutlich. Mit ihm können wir unterschiedlichste Test-Szenarien, die das Thermomanagement bewältigen muss, nachstellen, um die Thermomanagementfunktionen zu validieren. Die Zahl der Variationen, die wir damit abarbeiten, ist enorm. Aktuell prüfen wir mögliche, künftige Konfigurationen anhand von rund 120 Projektvarianten mit im Schnitt jeweils 100 Testfällen. Deshalb nutzen wir auch die Leistung von gut einem Dutzend hochperformanter Computer, um unsere Messungen durchzuführen. So erfahren wir in Echtzeit, ob unsere Thermomanagementsoftware mit den Wasser- und Kältemittelkreisläufen wie ausgelegt arbeitet oder ob wir optimieren müssen.
Aber dieses Fahrzeug ist virtuell?
Nur zum Teil. Alles, was für das Thermomanagement wichtig ist, wie zum Beispiel das Steuergerät, Wasser- und Kältekreisläufe, aber beispielsweise auch die Luftdüsen der Klimaanlage sind, in der lagerichtigen Position in einem sogenannten „Prüfwagen“ real verbaut. Die real aufgebauten Teile ersetzen damit das reale Fahrzeug. Auch die jeweils nötige Außentemperatur, die Luftfeuchtigkeit oder den Fahrtwind erzeugen wir vor Ort. Aber wir nutzen die Daten von realen Strecken, um die jeweiligen Fahrbedingungen nachzustellen. Gestern Morgen beispielsweise haben wir einzelne Einstellungen bei der Fahrt durch den Death-Valley-Nationalpark getestet und am Nachmittag waren wir virtuell auf dem Nürburgring.
Sie nutzen also reale Werte, die vorab bei Fahrten an den entsprechenden Orten gewonnen wurden, um damit virtuelle Prüffahrten zum Verhalten des Thermomanagements durchzuführen?
Richtig. Das sind Messwerte zur Fahrt an sich, also etwa zur Steigung, den Kurvenradien, der mittleren Kurvengeschwindigkeit bei Ideallinie, mögliche Beschleunigungen und Bremsvorgänge. Diese Informationen kombinieren wir mit unseren Daten zum Mikroklima vor Ort sowie individuellen Anforderungen etwa an die Klimaanlage und bei unterschiedlichen Zuladungen.
So können Sie beispielsweise das Thermomanagement im Death Valley prüfen.
Im Death Valley in Kalifornien fahren wir virtuell bei 50 Grad Celsius Außentemperatur mit voll beladenem Anhänger los, die Luft ist extrem trocken. Danach verändert sich die Situation, weil unser virtuelles Fahrzeug zwar mit beispielsweise 60 km/h unterwegs ist und den Fahrtwind zur Kühlung nutzen kann. Andererseits muss es immer wieder Steigungen von bis zu neun Prozent überwinden. Wir errechnen die Temperaturentwicklung im Fahrzeug und können analysieren, wie gut die verschiedenen Wasser- und Klimakreisläufe und die Software des Steuergerätes arbeiten, um die erforderliche Temperatur für die Bauteilkühlung und den Innenraum herzustellen.
Laufen die Tests in kalten Regionen vergleichbar ab?
Ja. Eine meiner persönlichen Lieblingsstrecken, die wir für diese Tests nutzen, ist die Großglockner-Hochalpenstraße in Österreich. Im Winter sind hier Schneehöhen bis zu zehn Meter und eisige Temperaturen der Normalfall. Sehr dynamische Temperaturen bietet auch unsere Fahrt über den Berninapass in der Schweiz. Insgesamt nutzen wir derzeit 50 verschiedene Touren mit ihren spezifischen Eigenschaften, um das Thermomanagement zu testen. Dabei können wir auch ungewöhnliche Situationen nachstellen. Beispielsweise die Auswirkungen von einer Außentemperatur von -20 Grad während einer schnellen Runde auf dem Nürburgring.
Und all diese Testfahren laufen automatisch ab?
Natürlich müssen wir entsprechende Vorbereitungen treffen. Danach aber laufen die gewünschten Test Cases dank einer ausgeklügelten Automatisierung selbstständig durch – Tag und Nacht und wenn nötig auch sieben Tagen in der Woche.
Dann muss Audi – zumindest in Bezug auf das Thermomanagement – keine echten Testfahrten mehr durchführen?
Echte Testfahren wird es weiterhin geben, aber durch unsere Arbeit ist es möglich, bereits zu einer sehr frühen Projektphase Fahrszenarien zu prüfen, in der es noch gar keine fertigen Fahrzeuge gibt. Später unterstützen wir dann auch die reale Fahrzeugerprobung am Prüfstand, da sich Messungen hier einfacher und schneller durchführen lassen.