Energiespeicher der Zukunft? Akku-Recycling für Indien
Prodip Chatterjee ist zu Besuch bei seinen Großeltern in Indien. Dort erfährt er, dass in den Dörfern der Nachbarschaft viele Familien immer noch mit häufigen Stromausfällen leben müssen oder ohne jeglichen Zugang zu Elektrizität sind. „Ich bin jedes Mal aufs Neue enttäuscht, dass sich an den ärmlichen Verhältnissen kaum etwas ändert “, erzählt der Deutsche mit indischen Wurzeln. Doch gerade die Stromversorgung wäre besonders wichtig, um das Problem anzugehen und den Lebensstandard insgesamt zu erhöhen.
Von der Idee zum Start-up: mobile Stromspeicher für Indien
Vor drei Jahren kommt Prodip während der Arbeit die zündende Idee: „Viele Unternehmen tauschen die Laptops ihrer Mitarbeiter nach drei Jahren aus. Ich dachte mir, dass man aus den ausrangierten Geräten noch etwas Sinnvolles machen könnte. Die Akkus sind ja da und sie funktionieren noch – nur müsste man sie weiternutzen.“ Geboren ist die Idee, die zum Start-up „Nunam“ (Sanskrit für „für die Zukunft“) führt.
Zusammen mit Co-Gründer Darshan Virupaksha und weiteren Mitstreitern tüftelt er seit 2017 an nachhaltigen Energiespeichern. Die ersten Experimente führten sie mit alten Handyakkus durch. Seit 2019 arbeiten sie an Systemen mit ausrangierten Laptop-Akkus, die zu neuen, mobilen Stromspeicher und Aufladestationen werden.
Das Pilotprojekt mit Straßenhändlern in Indien ist gestartet. Zeit also, mit Prodip darüber zu sprechen, woher sie die gebrauchten Akkus beziehen, für was die Energiespeicher verwendet werden und warum sie eine App dafür entwickelt haben:
Interview mit Nunam-Gründer Prodip Chatterjee
Wie sieht euer Pilotprojekt zur alternativen Energiegewinnung mit den Straßenhändlern in Indien konkret aus?
Prodip Chatterjee: Wir haben Prototypen für zwei Anwendungsfälle gebaut. Die Stromspeicher sind etwa so groß wie eine Autobatterie und wiegen zwei Kilo. In unserem Pilotprojekt nutzen Gemüsehändler den mobilen Stromspeicher, um nach Sonnenuntergang für ihre Stände Licht zu haben und so weiter verkaufen zu können. Außerdem können Sie währenddessen ihr Handy laden.
Den zweiten Anwendungsfall sehen wir für den Nutzer zu Hause. In Indien sind drei Geräte besonders wichtig: Smartphone, Lampe und Ventilator. Und unser Energiespeicher kann zum Beispiel Strom für sechs Stunden LED-Licht bringen.
Energiespeicher zu bauen, klingt kompliziert: Wie kommt ihr an die Akkus?
Prodip Chatterjee: Wir bekommen die Lithium-Ionen-Batterien und -Akkus von ansässigen Schrotthändlern rund um Bengaluru und anderen Städten geliefert. Wir entnehmen aus den alten Batterien die Zellen und testen sie. Die durchschnittliche Restkapazität liegt bei rund zwei Drittel. Es ist schon verrückt, wenn ich mir vorstelle, wieviel Potenzial einfach auf dem Müll landet. Außerdem schauen wir uns Parameter wie die Wärmeentwicklung, Innenwiederstände und weitere Datenpunkte an. Nur wenn die Batteriezellen diese Kriterien erfüllen, bauen wir sie in neue Stromspeicher ein.
Können wir uns den Energiespeicher wie eine Powerbank vorstellen?
Prodip Chatterjee: Nein, deutlich größer. Eine Powerbank besitzt meistens acht Zellen. Unsere stationären Stromspeicher haben mindestens 40 Zellen, der große Prototyp sogar 120. Wir wollen künftig Geschäfte oder Straßenhändler damit beliefern. Die brauchen ein bisschen mehr Strom. Aber Technik und Anschlüsse entsprechen denen einer Powerbank.
Stichpunkt Kreislaufwirtschaft: Die Akkus sind ja auch wirklich irgendwann leer. Wie bekommt ihr die Energiespeicher zurück, damit sie nicht doch auf dem Müll landen?
Prodip Chatterjee: Das sehe ich noch als große Herausforderung. Wir haben verschiedene Lösungsansätze dazu entwickelt: Einerseits besitzt jede Zelle eine eigene ID mit QR-Code. Wir wissen also immer, wo der Energiespeicher mit der verbauten Zelle ist und in welchem Zustand sich dieser befindet. Für das Tracking haben wir eine App und ein Online-Dashboard entwickelt. So können wir über die Nutzungsdaten vorhersehen, wie lange der Stromspeicher noch nutzbar ist. Wenn die Leistung zur Neige geht, schreiben wir den Käufer an und kümmern uns um den Austausch. Der stete Kontakt zum Kunden wird entscheidend sein, damit der Speicher nicht auf dem Müll landet.
Andererseits haben wir neben dem Kaufmodell auch über ein Mietmodell nachgedacht. Das bedeutet, dass man den Energiespeicher nach einer gewissen Zeit zurückgeben muss.
Der Großteil eurer Arbeit passiert in Indien. Du bist in Deutschland – wie geht das?
Prodip Chatterjee: (Lacht) Ich glaube, ich war im vergangenen Jahr länger in Indien als in Deutschland. Trotzdem sehe ich meinen Lebensmittelpunkt in Berlin. Aber grundsätzlich ist es so: Ich bin da, wo ich gerade gebraucht werde. Zudem ist Darshan in Indien vor Ort und wir tauschen uns täglich aus. Er ist technisch und inhaltlich näher dran und kennt sich gut mit allen Themen rund um Internet of Things aus. Ich hingegen organisiere das Kaufmännische und den Vertrieb – das klappt zu großen Teilen auch gut aus Berlin.
Vor welchen Herausforderungen steht ihr in der Pilotphase?
Prodip Chatterjee: Einerseits müssen unser Projekt und unser Produkt bekannt werden. Das Vertrauen des Nutzers ist ein wichtiger Punkt. Bei neuen Produkten kann es durchaus etwas dauern, bis man es gewinnt. (Schmunzelt.) Andererseits müssen wir uns über die Vertriebswege Gedanken machen: Verkaufen wir an Elektrohändler, direkt oder nur online? Wichtig ist uns, dass wir die Energiespeicher so günstig wie möglich anbieten können, damit auch die Ärmsten zumindest ein wenig Strom haben können. Und, dass wir sie auch garantiert wieder zurückbekommen. Insgesamt stehen wir vor vielen spannenden Herausforderungen in diesem Jahr.
Welche Pläne habt ihr für das Jahr 2020?
Prodip Chatterjee: Wir fokussieren uns auf unser Pilotprojekt und sammeln Erfahrungen und Daten. Unser Ziel ist es, etwa 25 Prototypen aus Laptop-Akkus zu entwickeln und dann an Kunden in ländlichen Gebieten zu verteilen. Die Ergebnisse und unsere Analytics-Daten zur Nutzung der Zellen teilen wir dann mit der Forschung und allen Interessierten. Wir kooperieren hier bereits mit der TU Berlin. Mit unserem Start-up wollen wir vor allem andere Teams und Formen motivieren, ähnliche Projekte zu starten. Die Energie ist da, wir müssen sie nur nutzen.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg, Prodip!